Beate Pamperl

Daniel N. Chodowiecki, „Eine Schulmeisterstube“, 1791. Ein Lehrer erläutert unwissenden Kindern den Sündenfall als Beginn der menschheitlichen Unheilsgeschichte. Im Hintergrund bekämpft der Erzengel Michael den Teufel in Drachengestalt und stößt ihn hinab auf die Erde. (Quelle: Herzog Anton Ulrich-Museum, CC BY-NC-ND 4.0)

Mythos Modernität? Die Schulreformen der Aufklärung als Teil historischer Meistererzählungen

Benedikt Stimmer

Den großen Schulreformen des ausgehenden 18. Jahrhunderts kommt im öffentlichen Bewusstsein der meisten europäischen Länder ein besonderer Stellenwert zu. Einführung der Schulpflicht, Bildung einer Bürgergesellschaft, Durchsetzung säkularer Staatlichkeit, Schaffung der Nation: Die Topoi erscheinen vielfach austauschbar; zugleich lassen sie die Erziehungsanstrengungen der Aufklärung rückblickend geradezu als Beginn der Moderne erscheinen. Aber lässt sich dieses Bild heute noch aufrechterhalten?

Erdglobus

Aus dem Reich der Weltmodelle – der Hunt-Lenox Globe und seine ‚Kinder‘

Martina Pippal

Ein Sammler, der gerne ‚verkannten‘ Werken nachjagt, findet 2012 auf der Karten- und Globenmesse in London ein ansprechendes Objekt: einen Globus von weißlicher Farbe, ca. 11 cm im Durchmesser. Die Weltkarte auf dem Globus verweist auf deren Entstehung um 1510. Der Verkäufer spricht – wie der Kollege, von dem er das kleine Erdmodell eben übernommen hat – von einer Kuriosität respektive einem Dekorationsgegenstand aus Straußeneischalen. Der Sammler sieht in dem Objekt weit mehr als etwas Kurioses oder Dekoratives, nämlich ein Werk von größter kulturhistorischer Bedeutung. Er kauft den kleinen Globus und entwickelt eine Reihe von Thesen. Sie kulminieren in der Zuschreibung des Stückes an Leonardo da Vinci.

Terrakottafigur einer gelagerten Frau (Rückansicht), angefertigt um 1880 im Stil der sog. Tanagräerinnen (4.–3. Jh. v. Chr.). British Museum, Greek and Roman Department, Inv. Nr. 1884,0126.1 (Quelle: The Trustees of the British Museum, CC BY-NC-SA 4.0)

Echt falsch antik? Archäologie, Kulturerbe, Ästhetik in und aus Griechenland im 19. Jahrhundert

Angelika Hudler

Das Gegenteil eines echten Artefakts ist seine Fälschung. Aber stehen originale und gefälschte Antiken durch ihre zeitgleiche Entdeckung bzw. Anfertigung, ihre Herkunftsorte, Hersteller:innen und Besitzer:innen nicht auch in direkter Beziehung zueinander? In diesem Beitrag veranschaulichen falsche Tanagräerinnen echte archäologische Themen in Griechenland im späten 19. Jahrhundert.

Aufnahme am Sinai (Quelle: pixabay)

Historische Fakten und religiöse Identität, oder: von den zwei Wahrheiten

Gerhard Langer

Das Judentum basiert maßgeblich auf der Überlieferung eines Manns, dessen wahre Identität im Dunkeln bleibt. Das Christentum geht weit weniger auf einen historischen Jesus, als auf findige Interpreten seiner Botschaft zurück, und der Islam wurde von einem Propheten begründet, dessen Leben von vielen Mythen umrankt ist. Wie lässt sich damit umgehen, wenn historische Fakten der religiösen Überlieferung zum Teil entgegenstehen? 

Der Severertondo (Temperamalerei auf Holz; Berlin, Ägyptisches Museum) bietet eine Frontalansicht der Kaiserfamilie in prachtvollem Ornat: Septimius Severus mit seiner Gattin Iulia Domna sowie ihre beiden Söhne Caracalla und Geta. Getas Porträt wurde nach dessen Ermordung geschwärzt, allerdings nicht mit Farbe, sondern mit Exkrementen, was dem Eingriff eher den Charakter einer symbolischen Schändung als einer Löschung verlieh. (Quelle: wikimedia commons)

„Cancel culture“ im antiken Rom: Manipulation und Desorientierung

Fritz Mitthof

Im antiken Rom wurde eine besonders radikale Form der Gedächtnispolitik praktiziert: Es existierte eine spezielle Strafform, die sogenannte damnatio memoriae, welche ein striktes Verbot von Bildnissen und namentlichen Erwähnungen geächteter Personen im öffentlichen Raum vorsah. Dabei kam es allerdings aufgrund diverser Umstände immer wieder zu Unklarheiten und Irrtümern.

Büste Nicolae Iorgas im Garten seines Elternhauses in Botoșani (Foto der Autorin)

Wie Karl Lueger aus der rumänischen Geschichte verschwand

Andreea Kaltenbrunner

Warum wurden die Artikel zum Wiener Bürgermeister Karl Lueger, der um 1900 in Rumänien sehr beliebt war, aus den Büchern des rumänischen Nationalhistorikers Nicolae Iorga nach 1945 gestrichen? Dieser Beitrag zeigt, welche Folgen dies für das Verständnis des erwähnten Nationalhistorikers und allgemein für die Geschichte des modernen Antisemitismus in Rumänien hatte.

Der Fälscher, der Lügner, die Außerirdischen und die Archäologie

Fritz Blakolmer

Archäologische Fächer sind (leider) in ganz besonderem Maße anfällig für Fakes: Einerseits taucht unter den tatsächlichen Fundobjekten immer wieder Einzigartiges auf, das auf den ersten Blick alles andere als echt wirkt. Andererseits ist die Quellenlage zur Antike oft so gering, dass es verlockend erscheint, ja unvermeidbar ist, Erklärungen auf unsicherer, argumentativ abwägender Grundlage aufzustellen. Bisweilen sind Archäolog:innen dann auch selbst dazu verleitet, bei ihrer Theorienbildung über das Ziel hinauszuschießen.

"Der Wanderer (Pilger) am Weltenrand", anonym, 1888, aus: Camille Flammarion, L'Atmosphère: Météorologie Populaire (Paris, 1888), S. 163 (Quelle: wikimedia commons)

Gefälschter Raum, gefälschte Zeit, echte Kunst – Fake, Irrtum, Unterstellung

Martina Pippal

Auch wenn eine gänzlich objektive Geschichtsschreibung nie zu erreichen sein wird, so ist Vorsicht besonders dort geboten, wo sich ein Narrativ, von welcher Seite immer es geformt wird, gänzlich von dem abhebt, was wir heute die Realität – die nach naturwissenschaftlichen Gesetzen funktionierende Welt der sichtbaren Dinge und die faktische Chronologie – bezeichnen.

Teaser-Bild

Wie kam es im 5. Jahrhundert zum erfundenen Briefwechsel zwischen einem Heiden und einem Christen? Fälschung als Kompromissversuch in Byzanz

Cosimo Paravano

Vorstellungen davon und Erzählungen darüber, wie Christ:innen mit dem Erbe der heidnischen Antike umgingen bzw. aus Sicht ihrer Autoritäten hätten umgehen sollen, gibt es viele und vielfältige – damals wie heute. Ein gefälschter Dialog aus frühbyzantinischer Zeit hatte das Ziel, genau dieses Problem zu glätten.