• Blogbeitrag

Der Fälscher, der Lügner, die Außerirdischen und die Archäologie

Fritz Blakolmer

14.7.2023

Archäologische Fächer sind (leider) in ganz besonderem Maße anfällig für Fakes: Einerseits taucht unter den tatsächlichen Fundobjekten immer wieder Einzigartiges auf, das auf den ersten Blick alles andere als echt wirkt. Andererseits ist die Quellenlage zur Antike oft so gering, dass es verlockend erscheint, ja unvermeidbar ist, Erklärungen auf unsicherer, argumentativ abwägender Grundlage aufzustellen. Bisweilen sind Archäolog:innen dann auch selbst dazu verleitet, bei ihrer Theorienbildung über das Ziel hinauszuschießen. Das sollen in diesem Beitrag vier Beispiele für Fake und Irrtum vermitteln, die größtenteils aus der minoisch-mykenischen Archäologie, dem Forschungsgebiet des Verfassers, stammen.

Keine griechische Tragödie! Zuviel Homer in der ägäischen Bronzezeit

Nicht im Zuge einer regulären Ausgrabung, sondern angeblich von einem Bauern bei Theben in Mittelgriechenland wurden im Jahr 1915 die 13 Goldsiegel des sogenannten „Thisbe-Schatzes“ entdeckt. Ihr Stil ist an minoisch-mykenische Darstellungen angelehnt, und die Siegelformen entsprechen jenen des 2. Jahrtausends v.u.Z. Trotz anfänglicher Zweifel an ihrem bronzezeitlichen Charakter wurden sie von keinem Geringeren als Arthur Evans, dem Begründer der minoischen Archäologie, für echt erklärt, der sie auch erwarb und 1925 publizierte.[1] Die Bildmotive schildern aber ganz offensichtlich Schlüsselszenen der klassisch-griechischen Mythologie und der antiken Tragödien, also aus dem 1. Jahrtausend v.u.Z.: Ödipus, der die Sphinx tötet, aus dem thebanischen Sagenkreis; und Orestes rächt den Mord an seinem Vater Agamemnon, indem er seine Mutter Klytaimnestra und ihren Liebhaber Aigisthos in Mykene tötet. Mit zunehmendem Kenntnisstand von minoisch-mykenischer Bildkunst erkannte man jedoch bald, dass es sich bei diesen Siegeln um plumpe Fälschungen handelt. Die Annahme, dass die Epen Homers die ägäische Bronzezeit minutiös widerspiegeln (in der Nachfolge des Hypes um Heinrich Schliemanns Entdeckungen in Troia und Mykene), war bereits zur Zeit der Entdeckung des „Thisbe-Schatzes“ in der Forschung widerlegt. Zu obsessiv und ungeschickt wurde hier vom Fälscher zwecks Wertsteigerung seiner Fakes versucht, die Welt des klassischen Altertums auf die ägäische Bronzezeit zu projizieren – und dieses Wunschdenken ließ die Siegel des „Thisbe-Schatzes“ von Beginn an suspekt erscheinen. Für die Altersbestimmung stehen der Archäologie heute naturwissenschaftliche Materialanalysen zur Verfügung, die es Fälscher:innen wesentlich erschweren, eine antike Urheberschaft vorzutäuschen. Was diesem Fälscher allerdings gelang, ist, dass seine Fakes Eingang in die archäologische Fachliteratur fanden – und so werden sie gelegentlich auch heute noch zitiert, da man ihre Publikation nicht löschen oder rückgängig machen kann.

Abb. 1: Zwei umgezeichnete Bildmotive der gefälschten Siegel in mykenischem Stil aus dem „Thisbe-Schatz“ lassen prominente Szenen der klassisch-griechischen Mythologie erkennen und verraten gerade dadurch ihren Fälschungscharakter (nach Arthur J. Evans, ‘The Ring of Nestor’: A glimpse into the Minoan After-world, Journal of Hellenic Studies 45, 1925, S. 27, Abb. 31; S. 38, Abb. 38)

Nach dem Tod des Ausgräbers kam es raus

Einen aufsehenerregenden Fall bildet der 2012 verstorbene britische Archäologe James Mellaart, Entdecker und Ausgräber der bedeutenden neolithischen Siedlung Çatal Höyük in der Türkei. Er wurde vor wenigen Jahren als Fälscher von Skizzen angeblich verblasster, allein von ihm selbst noch im Original gesehener Wandmalereien und altanatolischer Schrifttexte überführt. Was bereits zuvor vermutet worden war, wurde bei der Durchsicht des Nachlasses durch seinen Sohn und einen Wissenschaftspublizisten klar: Vermeintliche Sensationsfunde wie etwa die von Mellaart angefertigte Zeichnung einer (angeblich danach verschwundenen) kleinasiatisch-luwischen Inschrift erwiesen sich als reine Erfindungen. Doch was ist nun – aus archäologischer Sicht – von anderen Forschungsergebnissen des erfolgreichen Ausgräbers James Mellaart zu halten? Wissenschaftliche Ergebnisse stehen oder fallen mit der Glaubwürdigkeit der jeweiligen Forscherpersönlichkeit. Ein Archäologe, der sein unbestrittenes Fachwissen in Täuschungsabsicht und aus Geltungsdrang einsetzt – auch das gibt es. 

Lagerräume für UFO-Treibstoff oder doch für kretisches Olivenöl?

Würde man wissenschaftliche Ergebnisse an den Verkaufszahlen der Publikationen messen, dann hätte er mit über 60 Millionen verkauften Exemplaren und in 32 Sprachen übersetzten Büchern wohl die Nase vorn. Der Schweizer Hotelier und Bestsellerautor Erich von Däniken hat seit den späten 1960er Jahren seine pseudoarchäologische „Prä-Astronautik“ zu Prominenz gebracht: die Herleitung vergangener Kulturen auf fünf Kontinenten von Astronauten aus dem Weltall, und dies in einem wilden Parforce-Ritt durch Archäologie, Anthropologie, Astronomie, Geschichtswissenschaft und sämtliche Quellengattungen aus unterschiedlichen Jahrtausenden – nach Selbstaussage als „phantastische Wissenschaft“ (inklusive persönlichem Kontakt zu Außerirdischen) definiert und stets dem Vorwurf manipulierter Quellen ausgesetzt.[2]  Mit Amüsement liest man etwa über von Außerirdischen errichtete Treibstofftanks für UFO-artige fliegende Gebilde im Palast von Knossos im Kreta des 2. Jahrtausends v.u.Z. als Erklärung für die großen Vorratsgefäße für Öl und Wein in den Wirtschaftstrakten der minoischen Paläste und Siedlungen. Ihre Funktion kann man aufgrund der archäologischen Dokumentation, aus frühägäischen Verwaltungstexten und chemischen Rückstandsanalysen der Gefäße gut ohne Außerirdische definieren. 

Aus archäologischer Sicht kann man das „Phänomen von Däniken“ und den Inhalt seiner Bücher zwar bedenkenlos ignorieren; bemerkenswert sind jedoch das enorm große Interesse und teils wohl auch der Zuspruch einer breiten Öffentlichkeit zu dieser „Alternative zur Wissenschaft“, die sich nicht klar als Fiktion deklariert. Als freie, amüsant lesbare Gedankenabenteuer ohne jeglichen wissenschaftlichen Erklärungsanspruch, vergleichbar den Harry-Potter-Romanen, hätte diese Art von „Sachbüchern“ selbstverständlich ihre Berechtigung; allerdings ist dies im vorliegenden Fall ein raffiniertes Spiel mit den – vorgegaukelten, aber nicht einmal ansatzweise eingehaltenen – Regeln der Wissenschaft, welches letztendlich der Öffentlichkeit doch klar ein ernst gemeintes archäologisches Bild vorspiegelt („Forschungsgesellschaft für Archäologie, Astronautik und SETI“) sowie den Leser:innen eine Gleichwertigkeit und Einbettung der „Impossible Truths“ im wissenschaftlichen Diskurs suggeriert.

Abb. 2: Der Palast von Knossos und die Kultur des minoischen Kreta sind ein beliebtes Betätigungsfeld für „Pseudowissenschafter:innen“, aber auch Themenfeld für historische Romane und phantasiereiche Vorstellungen einer imaginierten Gegenwelt (Photo: Clemens Kneringer, Institut für Klassische Archäologie, Universität Wien)

Jetzt erkläre aber ich den Archäologen, wie es wirklich war!

Wir bleiben im minoischen Kreta und im Palast von Knossos. Anregungen von außerhalb des eigenen Fachbereiches können oft hilfreich sein, und insbesondere die archäologischen Fächer sind seit jeher transdisziplinär aufgeschlossen und tätig. Zur Zeit der intensivierten Kooperationen von Archäolog:innen und Naturwissenschafter:innen erschien im Jahr 1971 ein populärwissenschaftliches Buch zum minoischen Kreta aus der Feder von Hans Georg Wunderlich, Ordinarius für Geologie und Paläontologie an der Universität Stuttgart.[3] Ausgehend von der geologischen Überlegung, dass die originalen Fußbodenplatten und Treppenstufen aus Gipsstein mit seiner geringen Widerstandsfähigkeit, trotz vorhandener Abnützungsspuren, für eine alltägliche Nutzung des Palastes von Knossos verblüffend gut erhalten seien, schloss Wunderlich darauf, dass minoische Paläste unbewohnt waren und als „Toten-Paläste“ zu verstehen wären. Die reichen Fundobjekte in den Palästen Kretas wurden von ihm zu Grabbeigaben umgedeutet und die großen Vorratsgefäße in den Lagerräumen, die bereits von Däniken faszinierten, zu Leichenbehältern erklärt, obgleich sie keinerlei Skelettreste enthielten.

Dieses Interpretationsmodell des Geologen führte kurzzeitig zu einer regen öffentlichen Auseinandersetzung in deutschsprachigen Printmedien und im Rundfunk. Bemerkenswert viele Archäologen haben sich damals in der Diskussion kritisch erklärend zu Wort gemeldet. Der Verfasser, Hans Georg Wunderlich, blieb mit seinen Ansichten weitgehend allein (dies wäre heute im digitalen Zeitalter wohl unmöglich); nur gelegentlich wurde zu seiner Unterstützung eine gewisse Freude geäußert, dass jemand von außen diesen Archäologen endlich zeige, dass ihre alten, verstaubten Erklärungsmodelle ja völlig falsch seien – und dieses „Science-Bashing“ ist uns heute sehr vertraut! Gefangen im Labyrinth der archäologischen Gegenargumente, verfestigte sich der offensichtliche Irrweg des Geologen, die Auseinandersetzung schaukelte sich hoch und führte zu Polemiken auf beiden Seiten. Die Debatte zu Wunderlichs „Totenpalast“ ist als kuriose mediale Eintagsfliege längst wieder verstummt, doch Sichtweisen von außen und Vorschläge wie dieser forderten – anders als bei von Däniken – die archäologische Forschung immerhin heraus.

Nicht resignieren! Aufklären!

Diese vier Fallbeispiele lehren uns so einiges. Genauso wie jedes archäologische Fundobjekt sind auch moderne Fälschungen ein historisches Zeugnis und ihre Fälscher:innen selbst Kinder ihrer Zeit, wie uns der „Thisbe-Schatz“ vor Augen führt. Dass Lügen kurze Beine haben, gilt auch für Wissenschafter:innen, und dies betrifft genauso das gezielte Täuschen der Fachkolleg:innen zur Befriedigung persönlichen Geltungsdrangs. Nicht selten stoßen wir auf eine Grauzone zwischen Wissenschaft und Sensationsgier und noch häufiger auf die zeitlos menschliche Problematik, sich einen Irrtum eingestehen zu können. Finanzieller Gewinn, Geltungsbedürfnis und Sensationsdrang bilden oft die treibenden Kräfte für das Spiel mit Fakes und konstruierten falschen Fährten als Medieninszenierung, der Wunsch nach Bestätigung durch Wissenschafter:innen oder zumindest durch „Gleichgesinnte“. Es darf vermutet werden, dass so manche Pseudowissenschafter:innen an ihre Konstrukte selbst nicht glauben, doch würde der Verfasser dieses Beitrags mit solchen psychologisierenden Spekulationen sein eigenes wissenschaftliches Revier verlassen … und selbst Fake produzieren!

Lesetipps:

Pieter Coll, Geschäfte mit der Phantasie. Warum es keinen Raumflug vor Jahrtausenden geben konnte (Würzburg 1973).

LWL-Museum für Archäologie (Hrsg.), Irrtümer & Fälschungen in der Archäologie. Begleitband zur Sonderausstellung 23. März – 9. September 2018 LWL-Museum für Archäologie, Westfälisches Landesmuseum Herne (Mainz 2018).

Stefan Baumann (Hrsg.), Fakten und Fiktionen. Archäologie vs. Pseudowissenschaft (Darmstadt 2018).

Angelika Hudler, “(E)scaping arguments: Gemmae dubitandae and their position in exploring Aegean Bronze Age archaeology”, in: N. Ayash – F. Fritzsche – D. Wolf (Hrsg.), Online Publication Series of the Student Conference ‘No (e)scape? Towards a Relational Archaeology of Man, Nature, and Thing in the Aegean Bronze Age’, Heidelberg, 23–25 March 2018 (Heidelberg 2019). Propylaeum-Dok: https://doi.org/10.11588/propylaeumdok.00004408

Klaus Lennartz – Javier Martínez (Hrsg.), Tenue est mendacium. Rethinking Fakes and Authorship in Classical, Late Antique & Early Christian Works (Groningen 2021).

Autor:

Fritz Blakolmer ist Mitarbeiter am Institut für Klassische Archäologie und forscht zum minoischen Kreta und dem mykenischen Griechenland. Sein Spezialgebiet ist die Bildkunst der Frühägäis. Seit 2007 ist er (Co-)Koordinator der Fakultätsgruppe Öffentlichkeitsarbeit.


[1] Arthur J. Evans, ‘The Ring of Nestor’: A glimpse into the Minoan After-world, Journal of Hellenic Studies 45, 1925, 1-42.

[2] Jonas Richter, Götter-Astronauten. Erich von Däniken und die Paläo-SETI-Mythologie, Perspektiven der Anomalistik 5 (Berlin 2017).

[3] Hans Georg Wunderlich, Wohin der Stier Europa trug. Kretas Geheimnis und das Erwachen des Abendlandes (Hamburg 1972).