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Der Schein trügt: Wie ein Kerzenleuchter zum zentralen Objekt des NS-Weihnachtskults wurde

Cordula Engeljehringer

29. April 2024

Der Julleuchter ist kein unbedingt auffälliger Gegenstand. Manche würden ihn als ansprechende Weihnachtsdekoration bezeichnen, andere als veraltetes Kitschobjekt abtun. Wenn er im Fenster zwischen blinkenden Lichterketten und ausgeschnittenen Papiersternen stünde, würde sich wohl kaum jemand nach ihm umdrehen und noch weniger die politische Instrumentalisierung seiner im Nationalsozialismus umgedeuteten Kulturgeschichte erahnen.

Abb.1: Man könnte den Kerzenleuchter mit simplen Motiven, die sich auf allen vier Seiten wiederholen, schnell übersehen. (Quelle: Institut für Urgeschichte und Historische Archäologie, Universität Wien, Inv. Nr. 69150 / Foto: Gabriele Gattinger)

Ebenso wenig Aufmerksamkeit erweckte ein solcher Leuchter, als er als Teil eines bunt gemischten Nachlasses in die Studiensammlung des Instituts für Urgeschichte und Historische Archäologie der Universität Wien einging, bis er im Zuge der Inventarisierung nähere Betrachtung erfuhr. 

Sein an ein Lebkuchenhaus erinnerndes Äußeres lenkt leicht von seinem geschichtlichen Hintergrund ab. Man kann ihn drehen und wenden wie man will, er bleibt oberflächlich gesehen ein unspektakulärer, altmodischer Leuchter, der ohne ansprechende Glasur oder nennenswerte kunstfertige Details auskommt. Man muss ihn schon auf den Kopf stellen, um mehr über ihn zu erfahren.

Bei seiner Inventarisierung in der Studiensammlung wurde nämlich nach einer Herstellermarke gesucht, um ihn zeitlich und geographisch einordnen zu können und so Anhaltspunkte über seine Geschichte zu gewinnen. Die Marke, die sich auf der Unterseite eines der vier klobigen Standfüße finden lässt, macht stutzig, und es wird klar, dass es sich bei dem Stück keineswegs um ein beliebiges Dekorationsobjekt handelt: Zwei ineinander verschränkte SS-Runen stehen in starkem Kontrast zum lieblichen Gesamteindruck. Es handelt sich hierbei um das markante Logo der Porzellanmanufaktur Allach während der NS-Zeit. Die Manufaktur galt als eines der Lieblingsprojekte von Heinrich Himmler. 

Die Assoziation mit dem Lebkuchenhaus bröckelt, die ausgeschnittene Herzform wirkt nun bissig ironisch, und die Ausführung des Designs erscheint, in dem nun eindeutigen Kontext, makaber.

Abb.2: Auf einem seiner vier Standfüße verrät ein Stempel mehr über die Geschichte des Leuchters: Die ineinander verschränkten SS-Runen stehen für die Marke der Porzellanmanufaktur Allach. (Links: Institut für Urgeschichte und Historische Archäologie, Universität Wien / Foto: Gabriele Gattinger; rechts: wikimedia commons)

Produkte der Porzellanmanufaktur Allach sind an sich keine Raritäten. Bestimmt hatten passionierte Flohmarktgänger:innen bereits ein ansprechendes Häferl oder eine hübsche Figur aus Porzellan in der Hand, auf denen nach genauerer Betrachtung die SS-Runen an der Unterseite für Verwunderung sorgten. 

Man muss nicht lange im Internet recherchieren, um herauszufinden, dass sich Stücke von Allach in einschlägigen Sammler:innenkreisen großer Beliebtheit erfreuen. Dabei stolpert man recht schnell über Julleuchter wie jenen in der Studiensammlung des Instituts für Urgeschichte und Historische Archäologie, die als Reproduktionen in neuheidnischen Onlineshops oder als Originale auf Auktionsplattformen teuer angeboten werden. Wenn man noch ein bisschen tiefer gräbt, findet man DIY-Anleitungen auf YouTube oder sogar Weihnachtsgrußkarten in rechtsextremen Foren, die diesen sogenannten Julleuchter als zentrales Motiv abbilden. Er ziert auch winterliche Grußbotschaften in ‚alternativwissenschaftlichen‘ Telegramkanälen, über deren Inhalt man bestenfalls irritiert die Stirn runzeln kann. 

Nicht jedem scheint allerdings der politische Hintergrund dieses Objekts bewusst zu sein, da er oft auf neuheidnisch und esoterisch orientierten Plattformen in leicht abgewandelter Form als „Brauchtumsleuchter“ vorgestellt wird, wobei hier sein Konnex mit der NS-Vergangenheit nicht beschrieben oder schlichtweg verschwiegen wird.

Wie Herman Wirth Fakten und rechtsextreme Fiktion verstrickte

Dass das Julfest historisch – vor seinen Verstrickungen in nationalsozialistische Ideologie – auf eine lange Tradition zurückblicken kann, wird in den Aufzeichnungen aus der „Heimskringlasaga“ von Snorri Sturloson, einem isländischen Skalden des 13. Jahrhunderts, belegt. Das eigentliche Datum des ursprünglichen Festes ist bis heute in der Forschung umstritten, jedenfalls lässt sich die Zusammenlegung dieses vorchristlichen Festtages und des christlichen Weihnachtsfestes auf den 25. Dezember bis ins 10. Jahrhundert datieren. 

Erstmalig als Artefakt erwähnt wird ein Julleuchter im Jahr 1888 im schwedischen Magazin „Runa“. Der Beitrag bezieht sich auf ein Stück, das in Halland (Schweden) aufgetaucht ist. Turmleuchter wie dieser sind im neuzeitlichen Skandinavien keine Seltenheit. Solche Stücke treten immer wieder zu Tage und haben in Dauerausstellungen einiger Museen ihren Platz gefunden. Sie sind an sich keine außergewöhnlichen Objekte und standen ursprünglich auch nicht in Verbindung mit den winterlichen Feierlichkeiten rund um das Julfest. Sie hatten eine praktische Funktion als Kerzenhalter. Ihr folkloristischer Dekor machte sie zu einem ansprechenden Haushaltsgegenstand, barg aber keine tiefere Bedeutung. Erst in den 1930er Jahren integrierte der niederländische, ‚völkisch‘ orientierte Historiker Herman Wirth den Leuchter in sein fanatisch rassistisches Weltbild.

Was sich liest wie ein Fiebertraum, war für Wirth und die Kulturpolitik des Nationalsozialismus taktisch konstruierte Realität: Im sechsspeichigen Rad, das den Leuchter ziert, sah Wirth die Hagall-Rune des jüngeren Furthak Alphabetes sowie ein Jul-Rad, das Symbol „Wralda“ eines göttlichen Schöpfers, und in dem Herz das Symbol „Irthas“, einer Art Mutter- und Erdgöttin. Beide sind Hauptfiguren der sogenannten „Ura Linda Chronik“ – ein angeblich vorgeschichtlicher Text, der in altfriesischer Sprache verfasst war und 1933 von Wirth in deutscher Übersetzung veröffentlicht wurde. Darin wird Atlantis als Heimat einer „nordisch-atlantischen Rasse“ beschrieben, wo ein naturverbundenes, matriarchales Paradies existiert hätte, das in den nacheiszeitlichen Fluten untergegangen sei. Außerdem sollen laut der „Ura Linda Chronik“ die Germanen schon vor Beginn der Bronzezeit Waffen aus Eisen hergestellt und einen regen Handel mit den Bewohner:innen Kretas unterhalten haben. 

Während Herman Wirth diesen Text für echt hielt, wurde die Authentizität von vielen Zeitgenossen zu Recht angezweifelt. Inzwischen ist belegt, dass es sich bei dieser Schrift um eine Bibel-Satire aus dem 19. Jahrhundert handelt.

Dass Wirths fanatische Ideen überhaupt Verbreitung finden konnten, lag zum größten Teil daran, dass er neben Heinrich Himmler, dem Reichsführer der SS, Mitbegründer der „Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe“ war, einer Vereinigung, die im Jahr 1935 gegründet wurde und den Dreh- und Angelpunkt der nationalsozialistischen Kulturpolitik darstellte. Unter dem Deckmantel archäologischer und historischer Forschung wurden hier ariosophisch-okkulte Ideen inszeniert, ausgebaut und verbreitet. Wirths Theorie zum prähistorischen Matriarchat, die Himmler ablehnte, führte zu Wirths Ausschluss aus der Forschungsgemeinschaft, allerdings wurde er bis 1944/45 weiterhin von ihr finanziert. Diesen Ausschluss gab Wirth übrigens groteskerweise nach Ende des zweiten Weltkriegs als „Verfolgung“ aus.

Trotz der internen Meinungsverschiedenheiten wurde der Julleuchter als Objekt des nationalsozialistischen Weihnachtskults inszeniert. Dieser Kult sollte – als angeblicher Bestandteil germanischer Religion – im Sinne der nationalsozialistischen Propaganda den christlichen Glauben in der Bevölkerung zurückdrängen. Man warf dem Christentum vor, das germanische Fest der Wintersonnenwende geraubt und überschrieben zu haben.

70.000 Stück; Konzentrationslager als Produktionsstätten

Das Aufbauen einer emotionalen Bindung der Bevölkerung an die NS-Propaganda war ein wichtiges politisches Instrument im Dritten Reich. Dass zu Kriegszeiten besonders Weihnachten als Fest der Familie zwischen all der Furcht und Trauer schwer wog, wusste der Nationalsozialismus für seine Zwecke zu nutzen. Die schmerzlich leer gebliebenen Plätze am Familientisch wurden gezielt angesprochen: Die brennende Kerze auf dem Julleuchter sollte zum Gedenken an gefallene Soldaten diese Lücken füllen. Langfristig sollte das Objekt bei allen wichtigen Lebensereignissen eine Rolle spielen. An Geburts- und Todestagen sowie Hochzeiten sollte eine Kerze auf dem Leuchter entzündet werden. 

Abb.3: Nicht alle sahen in dem Dekor einfache Ziermotive. Der nationalsozialistische Historiker Herman Wirth glaubte in ihnen einen Zusammenhang mit der „Ura Linda Chronik“ zu erkennen, ein Text, in dem Atlantis als Heimat einer „Nordischen Rasse“ beschrieben wird. (Quelle: Institut für Urgeschichte und Historische Archäologie, Universität Wien / Foto: Gabriele Gattinger)

Um dieses Objekt schnell und großflächig unter die Bevölkerung zu bringen, wurden im Auftrag der Firma Allach ab 1939 rund 70.000 Stück von Insass:innen der Konzentrationslager Dachau und Neuengamme produziert. Jeder Mann erhielt zum Beitritt zur SS einen solchen Leuchter am Ende des Folgejahres. In Vorbereitung auf das Julfest und bei den Feierlichkeiten selbst war eine Kerze, die oben in die Mulde gesteckt wurde, zu entzünden. Dass der Julleuchter ein beliebtes Dekorationsobjekt der SS war, zeigen Fotografien von gedeckten Tafeln bei Weihnachts- beziehungsweise Julfesten der Mannschaften in den Konzentrationslagern selbst.

So groß die Bemühungen, den Julleuchter unter die Menschen zu bringen, auch waren, ist die Geschichte dieses Objekts heute nahezu in Vergessenheit geraten. Überlebt haben nur vage Ideen, dass er auf irgendeine Art und Weise mit dem Weihnachtsfest in Verbindung gestanden habe. Im Gegensatz dazu erleben Herman Wirths Ideen bei Verschwörungstheoriker:innen heute eine Renaissance. Auch in vermeintlich menschenfreundlich-feministisch, esoterisch orientierten Kreisen findet sich um die von ihm vorgestellte prähistorische Matriarchatstheorie oft auch sein rechtes Gedankengut.

Es werden sicher auch noch zukünftig manche passionierte Flohmarktgänger:innen unerwartet über ein Stück Geschichte stolpern und erst auf den zweiten Blick erkennen, dass nicht alles, was auf Flohmärkten zu finden ist, so harmlos ist, wie es vielleicht auf den ersten Blick anmutet. 

Lesetipps:

Jean-Pierre Legendre, „Vrais ou faux Julleuchter en Alsace?“, Cahiers Alsaciens d’archéologie, d’art et d’histoire, 52, 2009, 161–167.

Esther Gajek, „Weihnachten im Dritten Reich. Der Beitrag von Volkskundlern an den Veränderungen des Weihnachtsfestes“, Ethnologia Europaea 20, 1989, 121–141.

Volker Koop, Himmlers Germanenwahn. Die SS-Organisation Ahnenerbe und ihre Verbrechen (Berlin 2013).

Autorin:

Cordula Engeljehringer hat die Bachelorstudien Kunstgeschichte sowie Urgeschichte und Historische Archäologie an der Universität Wien absolviert und bearbeitet derzeit in ihrem Masterstudium Urgeschichte und Historische Archäologie die materielle Kultur der Bergknechte in Hallstatt im 18. Jh. Sie ist als Studienassistentin in der Studiensammlung des Instituts tätig.