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Wer erbaute die Pyramiden? Lebhafte Phantasien im Wettstreit mit langweiligen Tatsachen

Lonneke Delpeut

15.2.2023

Seit der Antike üben die Pyramiden im ägyptischen Gizeh eine große Faszination auf Menschen aus. Ihre beeindruckende Erscheinung hat zahlreiche, teils auch äußerst phantasievolle Mutmaßungen zu ihrer Baugeschichte hervorgebracht. Woher stammen sie, und warum halten sie sich bis heute so hartnäckig?

Die ägyptischen Pyramiden und die Außerirdischen

Eine beliebte Erklärung, mit der ich als Ägyptologin regelmäßig konfrontiert werde, ist, dass die Pyramiden von Außerirdischen errichtet wurden. Das Geheimnisvolle, das die Pyramiden umgibt, und insbesondere die Frage, wie sie erbaut werden konnten, haben viele Menschen zu der Vorstellung animiert, dass sie von Aliens geschaffen wurden. Ob das denn wahr sei, ist folglich die häufigste Frage, die mir als Ägyptologin gestellt wird. 

Ein Mann, der diese „Theorie“ 2010 online wieder sehr populär gemacht hat, ist Giorgio A. Tsoukalos. In seiner History Channel-Sendung mit dem programmatischen Titel „Ancient Aliens“ erhob er den Finger und versicherte uns deren Urheberschaft. Dank der Popularität von Tsoukalos wurde genau diese Szene auch rasch zu einem Meme. 

Abb. 1: Das „Aliens“-Meme mit Giorgio A. Tsoukalos (siehe auch knowyourmeme.com) – iFrame

Obwohl es sich um eine irrwitzige Behauptung handelt, die von Forscher:innen nicht ernsthaft in Betracht gezogen werden kann, mussten selbst prominente Persönlichkeiten wie Elon Musk von der ägyptischen Ministerin für internationale Zusammenarbeit, Rania al-Mashat, persönlich darauf hingewiesen werden, dass die Pyramiden keineswegs auf die Bautätigkeit von Außerirdischen zurückgehen. Die Tatsache, dass auch Prominente mit einer großen Anhängerschaft diese unseriöse Theorie am Leben erhalten, macht wissenschaftliche Aufklärungsarbeit umso schwieriger. Doch was ist der eigentliche Ursprung der „Aliens-Hypothese“? Traurigerweise beruht ihre Glaubhaftigkeit für fehlinformierte Menschen auf einem umfassenderen, institutionellen und internationalen Problem, das den meisten Rezipient:innen dabei gar nicht bewusst ist: Rassismus.

Die Behauptung, dass Außerirdische die Pyramiden errichteten, wird hauptsächlich von einer Gruppe von Menschen propagiert, für die wissenschaftliche Argumente irrelevant sind. Ihr Bedürfnis nach phantastischen Erklärungen wird von Personen wie Erich von Däniken, David Icke oder Graham Hancock genährt – allesamt pseudowissenschaftliche Autoren, die kein Interesse an fundierten wissenschaftlichen Methoden haben bzw. deren Erkenntnisse nicht anerkennen. Was ihre Anhänger:innen oft nicht erkennen, ist, dass die gebetsmühlenartig wiederholten phantastischen Begründungen auf einem Unterlegenheitskomplex beruhen: Wenn wir es nicht geschafft haben, die Pyramiden zu bauen, müssen es Außerirdische gewesen sein. Das wir entspricht dabei einer eurozentristischen Grundhaltung, die sich gegenüber anderen Kulturen abschätzig gebärdet. Dass das Alte Ägypten eine der frühesten Zivilisationen hervorgebracht hat, die eine eigene Schrift, eine komplexe landwirtschaftliche Organisation und den ersten Territorialstaat der Geschichte entwickelte, entzieht sich dieser Wahrnehmung. 

Pyramiden von Gizeh
Abb. 2: Die Pyramiden von Gizeh (Foto: L.P.P. Delpeut)

Das Phänomen eines solchen im Grunde rassistischen Überlegenheitsgefühls hat ältere Wurzeln. Es geht auf die wertende Haltung gegenüber Kulturen zurück, wie wir sie aus dem Kolonialismus kennen. Kulturen des afrikanischen Kontinents, darunter die des Alten Ägyptens, wurden über lange Zeit als primitiv kategorisiert. Die Annahme, dass nicht-weiße oder nicht-westliche Menschen nicht in der Lage gewesen sein könnten, großartige, monumentale Bauwerke wie die Pyramiden zu erbauen, ist im Wesen eine abgeschwächte Fortsetzung der Pseudowissenschaft namens Phrenologie, der sich in der Vergangenheit auch Ägyptolog:innen zeitweise schuldig gemacht haben. Selbst der prominente Forscher William Flinders Petrie hielt sich selbst – rassentheoretischer Logik gemäß – für einen derart bedeutenden Vertreter der „kaukasischen Rasse“, dass er (nach seinem Tod) auf die Aufbewahrung seines Kopfes in einem Gefäß bestand, um der Nachwelt eine Untersuchung zu ermöglichen. Erst vor kurzem wurde auf der Streamingplattform Netflix die pseudowissenschaftliche (eigentlich: antiwissenschaftliche) Serie „Ancient Apocalypse“ ausgestrahlt, in der der Moderator Graham Hancock seine Überzeugung kundtat, Gesellschaften der Antike hätten keineswegs über ausreichendes Wissen verfügen können, um die Errichtung von Großbauwerken wie der Pyramiden zu vollbringen. Dass Hancock der Sohn eines der Geschäftsführer von Netflix ist, dürfte kein Zufall sein; so dürften Familienbeziehungen die Ausstrahlung dieser Sendung und ihrer fragwürdigen Inhalte begünstigt haben. 

Pyramiden und Sklavenarbeit

In diesem Zusammenhang muss eine weitere sehr populäre Theorie erwähnt werden, die vor allem im Zuge der Filmindustrie Hollywoods große Verbreitung erfuhr (und noch immer erfährt): Die ägyptischen Pyramiden seien von ausgebeuteten Sklaven erbaut worden. Wie sonst wäre man in der Lage gewesen, so große Monumente zu errichten? Die Frage, welche unterjochten Bevölkerungsgruppen die Pyramiden errichtet haben könnten (z. B. die Hebräer), wirft weitere Fragen auf.

Die Ägyptologie weiß schon seit langem, dass die Erbauer der Pyramiden Arbeitskräfte waren, die vom Pharao für die Errichtung solcher Staatsmonumente abgestellt wurden. Man könnte diesen Vorgang mit einer Einberufung zum Militärdienst vergleichen. Es galt als Ehre, an einem so gewaltigen und bedeutungsschweren Bauprojekt teilzuhaben. Die Anstellung beim Staat garantierte zudem ein anständiges Einkommen. Er sorgte dabei auch für die zugehörigen Familien vor und übernahm die Kosten eines Begräbnisses, falls einem Handwerker etwas zustoßen sollte. 

Beruhte diese Arbeit zu 100 Prozent auf Freiwilligkeit? Das sicherlich nicht! Doch die Arbeit wurde abgegolten, und es gibt eine Reihe von Zeugnissen, die darauf hinweisen, dass die am Pyramidenbau Beschäftigten sehr gut ernährt und sogar in der Nähe des Pharaos begraben wurden, was sicherlich auch als große Ehre für sie galt. Die Archäologen Mark Lehner und Zahi Hawass haben bei Heit el-Ghurab ein Dorf gefunden, in dem die Arbeiter während ihrer Tätigkeit wohnten, aßen und versorgt wurden.

Aus diesen archäologischen Forschungsergebnissen ist klar ersichtlich, dass die Vorstellung einer Abhängigkeit der Errichtung der Pyramiden von Sklaverei in der modernen Populärkultur falsch ist. Bezüglich der technischen Leistungen ist bemerkenswert, dass man noch im heutigen Ägypten Facharbeiter findet, die mit einfachen Mitteln schwere Gegenstände heben und transportieren können. Zu leugnen, dass im Alten Ägypten technologisches Wissen und organisatorische Fähigkeit, die eigenen Monumente zu erbauen, gefehlt hätten, bedeutet, den Altägyptern sowohl ihre über Generationen gewachsenen Erfahrungen als auch ihr Handlungsgeschick abzusprechen.

Pyramiden und moderne kulturelle Identität

Die Pyramiden sind sowohl mit den alten als auch mit den modernen Ägypter:innen untrennbar verbunden – schon allein deshalb, weil sie für Nicht-Ägypter:innen den bildlichen Inbegriff von Ägypten schlechthin darstellen. Ich kann natürlich nicht für alle modernen Ägypter sprechen und möchte das auch gar nicht vorgeben, aber die Pyramiden können als Schlüsselfaktor dafür gelten, was die Leute oft über Ägypten wissen, wenn man es erwähnt. Außerdem sind die meisten Ägypter, die ich kenne, äußerst stolz auf ihr Erbe, das die Pyramiden oft als Kernvorstellung einschließt. Zwar könnte man meinen, dass sich die heutigen Ägypter:innen aufgrund des historischen Bruchs in der sprachlichen, religiösen und allgemeinen kulturellen Praxis mit dem Alten Ägypten nur in geringem Maße verbunden fühlen, doch ist dies keineswegs der Fall: Viele moderne Ägypter:innen sind äußerst stolz auf das archäologische Erbe ihrer historischen Vorfahren. Ein ägyptischer Freund der Verfasserin, der im vergangenen Jahr das Kunsthistorische Museum in Wien besuchte, machte in der Ägyptisch-Orientalischen Sammlung ein Foto von sich und der Statue „seines Großvaters“ (im ideellen Sinne), des Pharaos Thutmosis III.

Mohammed und sein Großvater
Abb. 3: Mohamed und „sein Großvater“ Thutmosis III (Foto: L.P.P. Delpeut)

Heutige Ägypter:innen sind nicht die einzigen, die ihre kulturelle Identität mit den Pyramiden verbinden. Unter einer überschaubaren Gruppe von Menschen afrikanischer Abstammung kursiert die Auffassung, dass allein dunkelhäutige Menschen für den Bau der Pyramiden verantwortlich gewesen wären. Somit schreibt sie die Begründung der altägyptischen Zivilisation ihren eigenen Vorfahren zu. Auch dies dürfte eine Reaktion auf westliches Überlegenheitsdenken und mit ihm verbundene institutionelle Rassismen gewesen sein. Der Westen hatte im Laufe der Geschichte wiederholt Probleme damit, nicht-weißen Menschen irgendeine Art von Leistung zuzugestehen und sie als gleichberechtigt anzuerkennen. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass die Pyramiden in dieser Debatte als Symbole und Quelle kollektiven Stolzes herangezogen werden. In Anbetracht der Tatsache, dass der Pharao Arbeiter aus ganz Ägypten rekrutierte, gehörten die Männer, die für den Bau der Pyramiden verantwortlich waren, sicherlich unterschiedlichen Ethnien mit verschiedenen Hautfarben an. Selbst innerhalb Ägyptens gibt es diesbezüglich Unterschiede zwischen dem Norden und dem Süden. Das war im Altertum wohl nicht viel anders. 

Als Ägyptologin wiederholt gefragt zu werden, ob die Pyramiden von Außerirdischen erbaut wurden, mag zunächst frustrierend sein. Es ist aber auch Ausdruck einer allgemeinen Faszination für die altägyptische Kultur. Mein Fachgebiet erhält dadurch öffentliche Aufmerksamkeit und wird in seinem Weiterbestand legitimiert. Anstatt auf Phantastereien zu reagieren, lenke ich das Wissensbedürfnis der Fragestellenden nunmehr lieber auf anderes: Ich fordere sie dann auf, mit mir darüber zu staunen, wie antike Kultur etwas so Großartiges entstehen lassen konnte, das auch noch 5000 Jahre später als Bauwerk Bestand hat. Ich möchte auch Sie alle einladen, dasselbe zu tun!

Autorin:

Lonneke Delpeut ist im Rahmen der Doctoral School of Historical and Cultural Studies als Prae-doc Mitarbeiterin am Institut für Ägyptologie der Universität Wien tätig. In ihrer Forschung untersucht sie, wie in altägyptischen Bildern Informationen vermittelt werden.

Lesetipps und weiterführende Links:

Jonathan Shaw, Who built the Pyramids?, Harvard Magazine, 2003 https://www.harvardmagazine.com/2003/07/who-built-the-pyramids-html

Mark Lehner – Zahi Hawass, Giza and the Pyramids, Darmstadt 2017: Philipp von Zabern Verlag

Julien Benoit, Racism is behind outlandish theories about Africa’s ancient architecture, The Conversation, Sept. 2017 https://theconversation.com/racism-is-behind-outlandish-theories-about-africas-ancient-architecture-83898

Videos zum Thema: 
https://www.facebook.com/watch/?extid=MSG-UNK-UNK-UNK-AN_GK0T-GK1C&v=1993363437376935
https://www.tele.at/sendungsdetails/16692128/unerklaerliche-phaenomene-ancient-aliens.html