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Fake & Irrtum: Falsche Fährten in den kulturhistorischen Fächern einst und heute

Fritz Blakolmer – Angelika Hudler – Maximilian Hartmuth

14.10.2022

Der Ausdruck Fake ist heute in aller Munde. „Nicht neu für uns!” sagen Historiker:innen und Kulturwissenschafter:innen von der Universität Wien und haben für diesen Blog im Rahmen der Fakultätsgruppe Öffentlichkeitsarbeit in monatlich erscheinenden Beiträgen anschauliche Fallbeispiele von Fälschungen, Manipulation, Desinformation, Irrtümern und ihrer Wirkung, also Fake & Irrtum, aus Vergangenheit und Gegenwart in ihren jeweiligen Fachdisziplinen zusammengestellt. Sie beleuchten die Relevanz und Brisanz der Phänomene von Fake & Irrtum dort, wo sie die historisch-kulturwissenschaftlichen Fächer, außerhalb wie innerhalb der Wissenschaft, beschäftigen. Dieser einführende Beitrag möchte auf die nachfolgenden Blog-Themen einstimmen.

Das Phänomen Fake fordert Wissenschaft und Gesellschaft heraus

Nicht erst seit Corona kursieren sogenannte Fake News, Desinformationen, Wissenschaftsskepsis und Wissenschaftsfeindlichkeit (‚Science Bashing’ als Ausdruck eines ‚Eliten-Bashing’) in einem unübersehbaren Ausmaß, sondern die Instrumentalisierung und Manipulation wissenschaftlicher Ergebnisse für politische, gesellschaftliche, religiöse oder andere ideologische Zwecke und sogenannte Pseudowissenschaft besitzen eine lange Tradition. Auch in Verbindung mit den historisch-kulturwissenschaftlichen Fächern begegnen seit jeher Verschwörungstheorien, ‚konstruierte Wahrheiten’ und ‚Alternativen zur Wissenschaft’. Zudem haben unsere Fächer immer wieder mit Fälschungen von Objekten und ‚historischen’ Quellen, gefälschten wissenschaftlichen Ergebnissen und vermeintlichen ‚Fakten’ zu kämpfen. In der breiten Öffentlichkeit genauso wie in wissenschaftlichen Kreisen schimmern diese Fälle unter einer Aura der Faszination an gelungenen Täuschungen. Im kunstgeschichtlichen Feld trennen zum Beispiel oft nur wenige Pinselstriche korrupte Fälscher:in und (Anti-)Held:in. Dass Österreich zu den EU-Ländern mit dem höchsten Anteil an Skeptiker:innen gegenüber Expert:innen und Wissenschafter:innen zählt[1], verleiht diesem Phänomen zusätzliche Brisanz: Politischer Populismus schließt wissenschaftliche Sorgfalt aus und setzt sich über Perspektivenwechsel und ein Abwägen der Argumente hinweg, von denen geisteswissenschaftliche Arbeit lebt. Jedenfalls sind Kulturhistoriker:innen keine Solipsist:innen: Sie suchen nach gemeinhin nachvollziehbaren Lösungen für Fragen, die sich aus der Menschheitsgeschichte ergeben. Ihre Methode ist der Diskurs, dessen Bedeutung für die Gesellschaft sich dort verdeutlicht, wo er parallel inner- und außerhalb der Wissenschaft fortgesetzt wird.

Zu Phänomenen von Fake kommen aber auch von uns Wissenschafter:innen selbst fabrizierte Irrtümer hinzu: entlarvte Irrwege oder aufzuklärende Missverständnisse, fragwürdige Sensationen und wissenschaftliche Mythen, die in den geisteswissenschaftlichen Disziplinen bisweilen verblüffend hartnäckig ihren Platz behaupten können. Wie sieht es mit der Fehlerkultur und dem zunehmenden Druck der akademischen Wissensproduktion aus? Werden heute vielleicht gar Forscher:innen selbst verstärkt zu gezwungen Originellem, Wunschdenken und Sensationen innerhalb ihrer Disziplinen verleitet? Die Problematik von Fake & Irrtum ist daher auch selbstkritisch, d. h. das eigene Fach reflektierend, zu betrachten.

Interpretationssache, logisch, nachvollziehbar – ‚echt’?

Im Gegensatz zu vielen anderen wissenschaftlichen Disziplinen geht es in den kulturhistorischen Fächern nicht um die Reproduzierbarkeit von Ergebnissen, sondern in hohem Grad um Plausibilität und Nachvollziehbarkeit. Dies macht die Ergebnisse für Außenstehende nicht nur angreifbar, sondern reduziert auch die Zugangsschwelle – mit positiven wie auch negativen Folgen: Einerseits erscheinen unsere fachimmanenten Methoden und Spielregeln auf den ersten Blick leichter zugänglich als etwa jene der medizinischen Forschung oder der Atomphysik. Andererseits ist die Hemmung, sich als Laie in historischen und kulturwissenschaftlichen Fächern aktiv einzubringen, deutlich geringer als in den Naturwissenschaften. 

Ambivalent ist somit auch die rasant zunehmende öffentliche Medialisierung von Wissenschaft zu sehen: Das Verlangen der Öffentlichkeit nach Außergewöhnlichem und Sensationen kann von Pseudo-Wissenschafter:innen mit Fakes leicht geliefert werden, worin sie in der öffentlichen Wirkung Wissenschafter:innen bisweilen überlegen erscheinen, wenn auch meist nur kurzzeitig. Im Spannungsfeld der gesellschaftlichen Übereinkunft von Wissenschaft und Öffentlichkeit werden in einer unübersichtlich gewordenen medialen Welt somit auch unsere historisch-kulturwissenschaftlichen Fächer verstärkt Ziel von ‚alternativen Fakten’ bzw. zu Orten der Auseinandersetzung zwischen seriösen und unseriösen Informationen, Fakten und Hirngespinsten, wissenschaftlicher Realität und Unsinn. 

Lautstarker Verschwörungstheoretiker Herrmann Knüppel und Historikerin Dr. Lenka Kniffel (Zeichnung: Fritz Blakolmer; technischer Support: Kristina Klein).

„Facts are like cows. If you stare them in the face hard enough, they generally run away.”[2]

Vertreter:innen der historisch-kulturwissenschaftlichen Fächer dürften in diesem Zitat von Dorothy L. Sayers eine berechtigte methodenkritische Warnung vor vermeintlichen Gewissheiten in der Forschung sehen. Aus dem Munde pseudo-wissenschaftlicher Weltverschwörer:innen hingegen wäre ein solches Statement in einem völlig anderen Kontext Wasser auf deren Mühlen. Zweifeln und Hinterfragen von gängigen, allgemein akzeptierten Forschungsmeinungen und die Suche nach alternativen Erklärungsmodellen stellen elementare Forschungsprinzipien in den kulturhistorischen Fächern dar. Hingegen bilden bloßes Glauben und Vertrauen Kategorien, die im wissenschaftlichen Prozedere kontraproduktiv, als menschliche Grundprinzipien jedoch auch jeder und jedem Wissenschafter:in immanent sind – und wir erwarten und verlangen unsererseits auch von der Öffentlichkeit nicht nur Akzeptanz, sondern auch Glauben und Vertrauen gegenüber der Wissenschaft und Wissenschafter:innen, im Bewusstsein, dass unsere Methoden und Techniken für Außenstehende nur ansatzweise nachvollziehbar sein können. 

Pseudowissenschafter:innen zeichnen sich oft durch ein Imitieren von Wissenschaftlichkeit aus sowie zugleich auch durch ihren Wunsch nach Bestätigung und Anerkennung durch Wissenschafter:innen – und dies trotz einer tendenziellen Ablehnung der Wissenschaft. Mit Verweis auf ihre unvoreingenommene Betrachtungsweise legitimieren Außenstehende, Nicht-Wissenschafter:innen und keineswegs selten auch Vertreter:innen anderer Fächer ihre Erklärungen unwissenschaftlichen Charakters mit nicht-fundierter Argumentation und durch Ignorieren der Quellen sowie bisheriger Erkenntnisse. 

Wie vermitteln wir als Wissenschafter:innen unsere Ungewissheiten, das Prozesshafte von Forschung und die Komplexität unserer Methoden? Dieser Erklärungsprozess fordert evidenzbasierte Erkenntnis und differenzierte Reflexion auf einer für Wissenschafter:innen meist ungewohnten Ebene heraus: Erklären, aber nicht von oben herab; und Transparenz, auch wenn Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit letztendlich auf die Kolleg:innen des eigenen Faches beschränkt bleiben. Mit anderen Worten: eine Belastungsprobe für die Akzeptanz der Wissenschaft in der Gesellschaft, der wir uns als Wissenschafter:innen stellen müssen.

Ein Laptop in der Antike? In diesem griechischen Vasenbild aus dem 5. Jh. v. Chr. wird ein Lehrer mit Schreibtafel und Griffel neben seinem jungen Schüler gezeigt. Mit den Augen des 21. Jahrhunderts liegt die scherzhafte Fehldeutung als moderner Laptop nahe. Es gibt aber Fälle in der Forschungsgeschichte, die ähnliche voreilige Assoziationen als seriöse Theorien zu behaupten versuchen. Fotonachweis: Staatliche Museen zu Berlin, Antikensammlung, CC BY-NC-SA 4.0.

Von Aliens in Ägypten über gefälschte Texte in Byzanz bis zum falschen Bild vom Mittelalter bei Monty Python

Wohin führten und führen falsche Fährten in den kulturhistorischen Forschungsbereichen? Mit dieser Frage verfolgt das aktuelle Projekt der Fakultätsgruppe Öffentlichkeitsarbeit der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien das Ziel, Vielfalt und Variantenreichtum der Phänomene von Fake & Irrtum aus der Praxis unserer jeweiligen Fachdisziplinen aufzuzeigen und die Problematik einem wissenschaftsinteressierten Publikum näher zu bringen. Anhand von Fallstudien soll dadurch gezeigt werden, wie Wissenschaft wirklich funktioniert, gerade insofern, als falsche Fährten zum Forschungsalltag und zur Geschichte jedes Faches gehören. 

Alle Beiträge, die in diesem Blog als monatliche Serie erscheinen, stammen aus der Feder von Wissenschafter:innen der Institute der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien, von der Alten Geschichte bis zur Europäischen Ethnologie, von der Numismatik bis zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte, von der Judaistik bis zur Ägyptologie. Sie leiten sich meist aus dem persönlichen Arbeitsfeld der Autor:innen ab und sollen anhand von Fake & Irrtum auch die kulturhistorischen Fächer selbst einem breiteren Leser:innenkreis näher bringen. Teils wird es um spektakuläre Fakes gehen, teils aber auch um verwandte Phänomene allgemeinen geisteswissenschaftlichen Charakters: ein in byzantinischer Zeit erfundener interkonfessioneller Briefwechsel; die Rolle propagandistischer ‚Fake News’ bei der Vereinigung Italiens im 19. Jahrhundert; der Zusammenhang von Corona-Verschwörungstheorien und Antisemitismus; Paläo-Astronauten als Erbauer der Pyramiden in Ägypten und des Palastes von Knossos sowie ein fälschender Archäologe; falsche Stereotypen des Mittelalters in der medialen Darstellung und bei Monty Python; die Konstruktion von chronologischen Denksystemen wie dem Gegensatz von Altem und Neuem Testament im Spiegel visueller Medien sowie unser Verständnis von Authentizität bei Rekonstruktionen von historischen Gebäuden und Gartenanlagen.

Der Gefahr, mit der Thematisierung von Fake unbeabsichtigt auch Werbung für krude, unwissenschaftliche Thesen aus Vergangenheit und Gegenwart zu betreiben, sind wir uns durchaus bewusst, doch geht es hier vielmehr um Aufklärung, das Erkennen der vielfältigen Äußerungen von Fake & Irrtum, das Nachzeichnen ihrer Mechanismen und unserer Strategien dagegen, d. h. um Streiflichter aus dem wissenschaftlichen Alltag von Vertreter:innen historisch-kulturwissenschaftlicher Fächer. Wer waren, wer sind die Fälscher:innen, wer die Getäuschten, ihre Beweggründe, und warum beschäftigt uns das (bis) heute? Die Beiträge gehen diesen Fragen – ganz ehrlich! – nach. Aber Irrtum nicht ausgeschlossen. 

Lesetipps:

Stefan Baumann (Hrsg.), Fakten und Fiktionen. Archäologie vs. Pseudowissenschaft (Darmstadt 2018).

Alex Capus, Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer, 2. Aufl. (München 2015).

Henry Keazor – Tina Öcal (Hrsg.), Der Fall Beltracchi und die Folgen. Interdisziplinäre Fälschungsforschung heute (Berlin – Boston 2014).

Andreas E. Müller – Lilia Diamantopoulou – Christian Gastgeber – Athanasia Katsiakiori-Rankl (Hrsg.), Die getäuschte Wissenschaft: Ein Genie betrügt Europa – Konstantinos Simonides (Göttingen 2017).

Autor:innen:

Fritz Blakolmer ist Mitarbeiter am Institut für Klassische Archäologie und forscht zum minoischen Kreta und dem mykenischen Griechenland. Sein Spezialgebiet ist die Bildkunst der Frühägäis. Seit 2007 ist er (Co-)Koordinator der Fakultätsgruppe Öffentlichkeitsarbeit.

Angelika Hudler ist ÖAW DOC-Stipendiatin am Institut für Byzantinistik und Neogräzistik. In ihrem Dissertationsprojekt erforscht sie die biografischen Verbindungen zwischen dem griechischen Archäologen Athanasios Rousopoulos und Antiquitäten aus seinem Besitz. Ihr Interesse gilt der interdisziplinären Forschungsreflexion, seit sie sich in ihrer Master-Arbeit in Klassischer Archäologie mit Gemmae dubitandae, einer Art ‚Schrödingers Katze’ der minoisch-mykenischen Forschungsgeschichte, beschäftigt hat. 

Maximilian Hartmuth ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kunstgeschichte und forscht zur Architekturgeschichte Mittel- und Südosteuropas. Derzeit leitet er ein ERC-Projekt über das habsburgerzeitliche Bosnien. (Foto: © Karl Pani)

Team der Fakultätsgruppe Öffentlichkeitsarbeit der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien:

Fritz Blakolmer, Maximilian Brockhaus, Christian Elster, Martina Fuchs, Michaela Hafner, Maximilian Hartmuth, Irmgard Hein, Angelika Hudler, Andreea Kaltenbrunner, Gerhard Langer, Alois Stuppner, Hubert Szemethy, David Weidgenannt

Wir danken Beate Pamperl ganz herzlich für die Betreuung des Blogs.


[1] https://www.citizen-science.at/blog/oesterreich-und-die-wissenschaft-eine-komplizierte-beziehung

[2] Dorothy L. Sayers, Clouds of Witness (London 1926).